BLKÖ:Beccaria, Cesare Bonesano de

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Becceni, Peter
Band: 1 (1856), ab Seite: 201. (Quelle)
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Beccaria, Cesare Bonesano de (Rechtsphilosoph und Humanist, geb. zu Mailand 15. März 1738, nach Andern 1735, gest. ebendas. 28. Nov. 1794, nach A. 1793). Entstammt einer altadeligen Familie Pavia’s. Seine Mutter ist eine Visconti da Rhó. Seinen ersten Unterricht erhielt er bei den Jesuiten in Parma, wo er sich insbesondere in den classischen Sprachen ausbildete. Frühzeitig faßte er eine besondere Vorliebe für philosophische Studien und las mit mehreren Gleichgesinnten die Werke der französischen Philosophen Condillac, Helvetius und der Encyklopädisten. Einen nachhaltigen Eindruck machten aber auf ihn vor allen andern die Schriften Montesquieu’s und insbesondere dessen „Lettres persanes.“ Betreffs dieser seiner Studien äußerte B. öfter: Dass ihn eine dreifache Empfindung beherrsche: Liebe zur Wissenschaft, Hang zur Freiheit und Theilnahme an den Schicksalen seiner Mitmenschen. So warf er sich nunmehr auf das Studium der Nationalökonomie und anläßlich einer in Mailand plötzlich eingetretenen commerziellen Zerrüttung schrieb er sein erstes Werk: „Del desordine e dei remedii delle monete nello stato di Milano nell’anno 1762“ (Lucca, 8°.). B. zählte damals 24 Jahre. Mehrere gleichgestimmte Seelen, welche um seine Zeit eben in Mailand lebten, schlossen sich enger zusammen und bildeten den Verein „Caffé,“ der alsbald das gleichnamige Blatt herausgab. Zu diesem Vereine zählten die Gebrüder Peter und Alexander Grafen Verri, der Mathematiker Paul Frisi, Ludwig Lamberthengi u. A. Das Blatt erschien durch zwei Jahre, und B. legte in demselben manchen werthvollen Aufsatz nieder, darunter: „Il discorso sugli Odori“ und „Sulla Rinunzia alla Crusca.“ Im „Discorso del Faraone“ zeigte er seine mathematischen Kenntnisse und im „Tentativo analitico sui Contrabbandi“ wandte er die Mathematik auf die Nationalökonomie an. Im „Discorso sui fogli periodici“ erörterte er den Vortheil, den das Volk von den Zeitungen hat und wie ihm durch dieselben nützliche Wahrheiten auf’s schnellste bekannt würden. Noch schrieb er „Sui Piaceri dell’Immaginazione“ und [202] „Frammento sullo stile,“ die in’s Französische übersetzt wurden. Diese Vorarbeiten läuterten B.’s Geist und Denkvermögen. Da fand eben in Frankreich der gräßliche Justizmord des ehrlichen Calas[WS 1] zu Toulouse Statt. Ein Schrei des Entsetzens durchdrang Frankreich und Deutschland und die französischen Encyklopädisten verbanden sich mit ihren humanistischen Freunden in Mailand, gegen die Härte der Strafen und gegen die Unduldsamkeit religiöser Meinungen zu Felde zu ziehen. Graf Verri, amtlicher Beschützer der Eingekerkerten, brachte darauf bezügliche Erörterungen öfter zur Sprache und endlich ward Beccaria, der in diesen Discussionen sich vor Allen hervorgethan, ausgewählt, alles bisher über diesen Gegenstand Verhandelte in einen Zusammenhang zu bringen. Im Hause des Grafen Peter Verri begann B. im März 1763 das berühmte Werk: „Dei delitti e delle pene,“ und vollendete es im Jän. 1764. Dasselbe kam zuerst anonym (1764 zu Livorno[WS 2]) heraus, wurde aber später unzählige Male nachgedruckt, übersetzt und commentirt. Der Grundgedanke des ganzen Werkes, das gegen die Todesstrafe und gegen die Tortur auftrat, spricht sich am Schlusse desselben aus, welcher lautet: „Wenn eine Strafe nicht die von Einem oder Mehreren gegen einen Zweiten angewendete Gewalt sein soll, dann muss sie wirklich öffentlich, schleunig und nothwendig, die unter den gegebenen Umständen kleinst-mögliche im Verhältniss zum Verbrechen, und von den Gesetzen dictirt sein.“ Das Original-Manuscript auf fliegenden Blättern befindet sich noch im Besitze der Familie. Das Werk machte Aufsehen, selbst Voltaire commentirte es. Die Akademie schickte dem Verfasser ihre Medaille, die Kaiserin Katharina II. berief ihn nach Petersburg und trug ihm hohe Ehrenstellen an, überdies nahm sie die Grundsätze dieser Abhandlung in ihren Codex auf. Beccaria zog es aber vor, in der Heimat zu bleiben, wo man indeß auch auf ihn aufmerksam geworden, so daß der große Minister der Kaiserin Maria Theresia, Graf Kaunitz, in einem Briefe vom April 1767 an den Grafen Firmian, kais. Bevollmächtigten in der Lombardei, Folgendes schrieb: „Es wäre für das Land wünschenswerth, einen Mann nicht zu verlieren, der nicht nur mit Geist begabt, sondern – so viel aus seinem Buch erhellt – auch gewohnt ist zu denken, insbesondere bei der gegenwärtigen Armuth an denkenden Menschen und Philosophen; auch würde es dem Ministerium eben zu keiner Ehre gereichen, fremde Staaten in der dem Genius schuldigen Achtung zuvorkommen zu sehen.“ In einem andern Briefe heißt es: „Man müsse dem Lande einen Genius erhalten, um gleichen Geist und gleiche Liebe für philosophische Studien der Jugend einzuflößen, die ernster Beschäftigung ohnehin zu stark entfremdet ist, da die Jugend Italiens nur zu sehr der gemeinen Rechtsgelehrsamkeit des Gerichtshofs, die aller Gründlichkeit entbehrt, und frivolen Studien obliegt, welche, wenn sie auch die Ausbildung des Verstandes befördern, doch ganz und gar nicht die Veredlung der Vernunft bezwecken.“ – Nach solchen Vorgängen wurde eigens für B. eine Lehrkanzel der Staatswirthschaft gegründet und 1769 begann B. daselbst seine Vorträge. Seine Antrittsrede wurde augenblicklich in’s Französische übersetzt u. erschien zu Lausanne im Druck. In seinen Vorträgen behandelte B. alle wichtigen national-ökonomischen Objecte. 1771 wurde B. Rath bei der obersten Stelle der Staatswirthschaft und 1791 kam er in den Ausschuß, welcher für die Reform der bürgerlichen und Strafrechts-Gesetzgebung zusammentrat. In den Archiven der Regierung sind nun die zahlreichen Beweise seines unermüdlichen Eifers niedergelegt. Die wichtigsten Gegenstände [203] wurden ihm übertragen und unter den von ihm im Auftrage der Regierung bearbeiteten Objecten, deren glückliche Ergebnisse dann dem Publicum zu Gute kamen, sind zu nennen: Sein „Gutachten über die Annona;“ sein anderes 1771 nach Wien gesendetes, über die „Nothwendigkeit einer Münzreform.“ Im J. 1780 verfaßte er seinen „Bericht über die einheitliche Reduction der Maaße und Gewichte,“ und sein „Gutachten über die Resultate der Bevölkerungs-Tabellen;“ 12 Jahre später gab er sein „Gutachten über den allgemeinen Criminal-Codex;“ insofern er sich auf politische Verbrechen bezieht. Es zielt ab auf Innehaltung im Mißbrauche infamirender Strafen. Dem Zureden seiner Freunde folgend, beschloß er Frankreich und dessen Hauptstadt zu besuchen, um mit seinen Bewunderern persönliche Freundschaft zu schließen. Alex. Graf Verri begleitete ihn. Aber im Lärm von Paris fühlte er sich trotz der schmeichelhaften Aufnahme d’Alembert’s nicht behaglich; er reiste über die Schweiz zurück, wo er den alten Voltaire besuchte. Nach 10 Wochen, obwohl er eine viel längere Abwesenheit vermuthet, war er in seine Heimat zurückgekehrt. – Kaum hatte ein anderes Werk ähnlichen Erfolg gehabt, wie jenes „Ueber die Verbrechen und Strafen.“ In Italien allein erschienen über 30 verschiedene Ausgaben. Auch wurde es in alle lebenden Sprachen übersetzt. Bemerkenswerth ist, daß seine Autorschaft von Linguet bestritten wurde, der die Behauptung aufstellte, dasselbe sei von Condorcet an Paul Frisi geschickt und von einigen französischen Philosophen bearbeitet worden. Die ganze Gesellschaft Caffé legte gegen diese tollkühne Behauptung Protest ein. Die beste Ausgabe ist: Venedig 1781 in 2 Octavbänden, diese ist von B. selbst verbessert und sind mehrere Materien darin umgestellt. Von den deutschen Uebersetzungen sind zu nennen: die (von Flathe) mit Hommels Anmerkungen zu Breslau 1788 u. 1789, und die von J. A. Bergk (Leipzig 1798). Unter den französischen sind zu nennen: die von dem Abbé Andre Morellet 1766 ausgegebene, welche die Veranlassung war, B. im Namen der Pariser Philosophen nach Paris einzuladen; eine andere erschien von dem Senator Röderer (Paris 1798). Eine spanische von Campomanes wurde von der Inquisition verboten. Unter den Commentatoren sind nennenswerth: Voltaire: „Commentaire sur le livre des délits et des peines“ (1766); – Diderot (in der Röderer’schen Ausgabe der Morellet’schen Uebersetzung) und Scholl: „Von Verbrechen und Strafen. Eine Nachlese zu Beccaria“ (Leipzig 1778). – Von B.’s Gegnern sind bemerkenswerth: Vouglas „Refutation des principes hazardés dans le traité des délits et des peines“ und Pescatore „Saggi intorno diversi opinioni ec.“ (Ueber diese siehe: Böhmer’s „Literatur des Criminalrechts“ §. 42). – Seine über Staatswirthschaft gehaltenen Vorlesungen erschienen erst 1804, also 9 Jahre nach seinem Tode, im Drucke unter dem Titel: „Studio delle scienze di economia politica.“ In den „Economisti italiani,“ einer mit typographischer Pracht veranstalteten Ausgabe sämmtlicher national-ökonomischen Werke von italienischen Schriftstellern legte B. der Erste den Plan eines allgemein anzuwendenden Decimalsystems nieder, das 10 Jahre später in Frankreich angenommen wurde. – Als B. im 56. Jahre– plötzlich vom Schlage getroffen – aus dem Dasein schied, war die Trauer um seinen Verlust allgemein. B. war zweimal verheiratet und hinterließ aus beiden Ehen einen Sohn und eine Tochter. Sein Körper ruht auf dem Kirchhofe der Porta Comasina in Mailand. [204] Eigenthümlich ist, daß er mit vielen hochherzigen Charakteren des Alterthums eine Schwäche theilte. Obgleich frei von Vorurtheilen u. Philosoph, war er furchtsam wie das schüchternste Mädchen, und da er behauptete, daß die Kräfte der Natur lange nicht genug bekannt seien, glaubte er sich immer in Gefahr, den traurigen Folgen eines von ihm nicht vorgesehenen Zwischenfalls zu erliegen.

Zeitschrift: Creposcolo (Mailand 1854) Nr. 49, 50, 51: „Opere di C. Beccaria precedute da un discorso sulla vita e sulle opere dell’autore“ di Pasquale Villari (Firenze 1854, Lemonnier). – Neykter (Jacob Frederic), Examen opinions Beccarianae de poenis capitalibus (Upsal. 1791, 8°.). – Villa (Carlo Pietro), Vitta e scritti del march. C. Beccaria (Milano 1821, 8°.). – Custodi (Pietro), Vita di C. Beccaria, s. l. et s. d. Fol. mit B.’s Porträt. – L’Universale. Giornale quotid. polit. letterario (Milano 1855, Fol.) Anno I. Nr. 74, wo das J. 1793 als Todesjahr angesetzt ist. – Dandolo (Tullio), L’Italia nel secolo passato sin 1789 (Milano 1853) S. 445. – Bran, Miscellen aus der neuesten ausländ. Literatur (1822) 1. Heft S. 67 u. f.: „Auszüge aus Morellet’s Memoiren,“ worin Mittheilungen über Beccaria enthalten sind. – Tipaldo, Biografia degli Italiani illustri, vol. III, 410. – Biographie des contemporains. – Tana (Augustin), Eloge de Beccaria (Turin 1781). – Bignami, Sulle Dottrine economiche di Beccaria (Milano 1811). – Le commentaire d’Aldobrando Paolino (Florence 1821. – Mittermaier, Zeitschrift für ausländische Rechtsgelehrsamkeit (1833) V. Bd. – Nouvelle Biographie générale … publiée sous la direction de M. le Dr. Hoffer (Paris 1853) V. Bd. Sp. 74. – Ebert (Fr. Ad.), Allgem. bibliogr. Lexikon (Leipzig 1821, Brockhaus) I. Bd. Nr. 1822.[BN 1] – Sein Porträt erschien öfter; vorzüglich gelungen ist das in dem Porträtwerke: Vite e ritratti d’illustri Italiani (Padua 1817, Bettoni) enthaltene, wo sich auch B.’s Biographie von Pietro Custodi befindet; es ist von Gius. Bozzi gez. und von Gius. Benaglia gest.; Custodi gibt 1735 als B.’s Geburtsjahr und 1793 als dessen Todesjahr an.

Berichtigungen und Nachträge

  1. E Beccaria, Cesare Bonesano de [s. d. Bd. I, S. 201].
    Rinaldini (A. v.), Beccaria. Biographische Skizze nach Cesare Cantù „Beccaria e il diritto penale“ (Wien 1865, in Commission bei Braumüller, 12°.). [Band 14, S. 395]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Jean Calas (Wikipedia).
  2. Vorlage: Monaco.